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Die Blockflöte - Der Stimme auf der Spur,Norbert Hornig, 2007-05-09 
Dieser Artikel hat den gleichnamigen Artikel über die Blockflöte zur Grundlage, der im Fono Forum Heft 10 / 2006 erschienen ist. Der vollständige Fono-Forum Artikel (mit Bildern und Discografie) kann unter der Internetadresse www.fonoforum.de heruntergeladen werden.
Wir danken dem Fono-Forum und Norbert Hornig für die freundliche Genehmigung zur auszugsweisen Veröffentlichung des Artikels auf den Flautissimo Internet-Seiten!

Die Blockflöte



DER STIMME AUF DER SPUR


„Und wie der Maler die Werke der Natur mit verschiedenen Farben nachahmt, kann das Instrument den Ausdruck der menschlichen Stimme durch die Atemgebung und durch Schattieren des Tones mit Hilfe entsprechender Griffe imitieren. Hierin habe ich Erfahrung gesammelt und gehört, wie man bei anderen Spielern aus ihrem Spiel die Worte zu ihrer Musik entnehmen konnte, sodaß man wohl sagen mochte, jenem Instrument fehlte nur noch die Form des menschlichen Körpers. So wie man von einem guten Bilde sagt, es fehle ihm nur der Atem. Somit könnt ihr sicher sein, dass die Flöte die Aufgabe hat, die menschliche Stimme mit all ihren Fähigkeiten nachzuahmen - denn sie vermag es“.

Diese Liebeserklärung an die Blockflöte ist zu lesen in der berühmten Flötenschule „Opera intitulata Fontegara“ von Silvestro di Ganassi dal Fontego aus dem Jahre 1535. Was der venezianische Meister hier mit hehren Worte beschreibt, will so gar nicht zu dem Vorurteil passen, dass der Blockflöte im Allgemeinen entgegengebracht wird: eben ein typisches Instrument für „Anfänger“ zu sein. Wer hat sich in Kindertagen nicht einmal abgemüht mit einer Blockflöte im Musikunterricht oder zu Weihnachten ? Doch richtig schön fand es eigentlich niemand...
“Ob die Blockflöte wirklich so geeignet ist zur pädagogischen Verwendung, wage ich zu bezweifeln“, meint Michael Schneider, der an der Frankfurter Musikhochschule derzeit 15 Studenten im Fach Blockflöte unterrichtet. „Sie hat natürlich ihre Vorzüge: man kann sehr schnell einen Ton produzieren, relativ rasch die Anfangsgründe erlernen. Aber dann kommen sehr schnell Probleme, die allein schon mit der Griffweise zusammenhängen, die nicht logisch ist. Aber wir müssen trotzdem akzeptieren, dass die Blockflöte heute international ein pädagogisches Instrument ist. Es geht darum, Qualität und Anspruch zu vermitteln“.

Dass sich die Blockflöte im Verlauf des 20. Jahrhunderts zum pädagogischen Instrument „per se“ geworden ist, geht entscheidend auf die Initiativen des aus Berlin stammenden Peter Harlan zurück, der in den 1920er Jahren im Geiste der Jugendbewegung die deutsche Blockflötenbewegung auslöste und eigene Blockflöten bauen ließ (Harlan-Flöte) – angetrieben von der Suche nach einem „gemeinschaftsfördernden und unkomplizierten, zur Innerlichkeit führendenden Volksinstrument“ (bei später kaum zu vermeidenden ideologischen Tendenzen). Eine Wiederbelebung der historischen Blockflöte hatte es bereits Ende des 19.Jahrhunderts gegeben, zunächst in England, entscheidende Impulse gingen dabei vom Instrumentenbauer Arnold Dolmetsch aus.

Die Geschichte der Blockflöte und ihr Gebrauch als künstlerischem Instrument begann allerdings wesentlich früher. Die Blockflöte hat sich aus dem Grundtyp der sogenannten Kernspaltflöten herausgebildet, die bereits in der frühzeitlichen süd- und westeuropäischen Folklore Verwendung fanden. Es wird angenommen, daß auch Instrumente aus Osteuropa und dem Orient Einfluß auf die Ausbildung dieses Flötentyps hatten.
Meist werden heute aus drei Teilen bestehende Blockflöten gespielt - ein Kopfstück, ein Mittelstück und ein Fußstück werden mittels zapfenförmiger Verbindungsstücke ineinander gesteckt. Am Kopfstück befindet sich der schnabelförmig auslaufende Block mit dem schmalen Windkanal (Kernspalt), durch den die eingeblasene Luft gegen die Kante des Labiums geleitet wird. Das Labium ist eine spitz zulaufende Holzzunge, die den Luftstrom an Unter- und Oberseite in wirbelförmige Schwingungen versetzt, es entsteht der sog. Schneidenton. Das schwingende Luftband an der Unterseite des Labiums wird durch den Windkanalausgang in das sich konisch verengenden Flötenrohr geleitet und versetzt die darin befindliche Luft in Resonanzschwingungen. Mit dem Öffnen bzw. Schließen der Grifflöcher verkürzt bzw. verlängert sich die schwingende Luftsäule, der Ton wird höher oder tiefer. Der Grundton, der tiefste Ton des Instruments, entsteht durch Schließen aller Grifflöcher. Es ist der einfachste Schwingungsvorgang mit der größten Wellenlänge (Grundschwingung).
Die Herstellung einer hochwertigen Blockflöte von Meisterhand, die in Spitzenqualität gut 2000 Euro kosten kann, ist Präzisionsarbeit. Da kommt es auf hundertstel Millimeter an, äußerst diffizil sind die akustisch-physikalischen Verhältnisse des Instruments, besonderes Fingerpitzengefühl verlangt die Herstellung des Blocks und des empfindlichen Labium. Parameter wie etwa die Breite des Kernspaltes, die Wandstärke des Rohrs, die Mensur, Lochgröße oder Labiumbreite bestimmen Tonhöhe und -umfang sowie die Lautstärke eines Instrumentes. Blockflötenbauer sind hervorragende Handwerker mit künstlerischer Ader, nur etwa 20 von internationalem Ruf gibt es von ihnen. Der Australier Fred Morgan machte sich u.a. als Flötenbauer von Frans Brüggen einen Namen. Sehr grossen Einfluss auf die moderne Entwicklung des Blockflötenbaus hatte auch Friedrich von Huene, ein Deutscher aus dem Baltikum mit Wohnsitz in Boston.
In Deutschland bürgen Firmen wie Moeck und Mollenhauer für Qualität, sie stellen hochwertige Instrumente für den schulischen Bedarf wie auch für das professionelle Spiel her.
Holz ist das am häufigsten verwendete Material im Blockflötenbau.
Verwendet werden Buchsbaum, Ahorn, Birne, Olive, Rosenholz, Pflaume, Palisander, Cocobolo, Ebenholz oder Grenadill. Sie unterscheiden sich in Bezug auf Härte, Optik und den Einfluß auf die Toneigenschaften und bedürfen meist besonderer Pflege mit Öl. Lange war Elfenbein ein bevorzugtes Material im Blockflötenbau, auch historische Exemplare aus Glas, Schildpatt oder Marmor sind bekannt. Vor allem für Unterrichtszwecke kommen heute auch Kunststoffflöten zum Einsatz, im Gegensatz zu Holzflöten sind diese unbegrenzt belastbar.
Originale historische Flöten werden heute kaum mehr gespielt. Die wenigen existierenden Exemplare befinden sich in Museen und sind für den täglichen Gebrauch ungeeignet. Als historische Vorbilder sind sie jedoch von unschätzbarem Wert. Und so erinnern Nachbauten der Flöten von Hieronimus Franciscus Kynseker (Nürnberg 1636-1686), Jan Steenbergen (Amsterdam 1675-1728), Thomas Stanesby (London 1668-1734) oder Jean-Hyacinth-Joseph Rottenburgh (Brüssel 1672-1756) an die große Blütezeit des Blockflötenspiels in der Zeit des Barock.

Die Blockflöte entwickelte sich schon früh zu einem Familieninstrument, die berühmte Sammlung der Renaissance-Blockflöten des Wiener Hofburgmuseums etwa zeigt ein Consort von acht Instrumenten unterschiedlicher Größe und Grundtonhöhe: Sopranino, Sopran, Alt in G und F, Tenor, Bass, Großbass und Subbass. Im 20.Jahrhundert erweiterte sich das Spektrum noch einmal mit Neuentwicklungen zur Aufführung zeitgenössischer Musik, etwa den futuristisch wirkenden Paetzold-Bässen. Um allen Anforderung des riesigen Repertoires vom Mittelalter bis zur Avantgarde entsprechen zu können - die historisierende Aufführungspraxis etwa verlangt unterschiedlichste Stimmtonhöhen - benötigen professionelle Spieler eine Vielzahl von Flöten. Dorothee Oberlinger besitzt ca. 60 Instrumente zur Auswahl, das Flanders Recorder Quartet reist gar mit mehr als 150 Flöten um die Welt.

Komponisten des Mittelalters, der Renaissance und des Barock bedachten die Blockflöte mit einem riesigen Repertoire. Die Werke von Giuseppe Sammartini und nicht zuletzt das berühmte c-moll-Konzert RV 441 von Antonio Vivaldi markierten hier einen vorläufigen Endpunkt. Die Blockflöte verlor an Bedeutung, sie konnte nicht zu einem Orchesterinstrument mutieren und mußte schon in der Vorklassik der Traversflöte Platz machen, die dynamischer war und mischungsfähiger mit dem Bläsersatz des klassischen und romantischen Orchesters. In ihrer gesamten Spezifik war die Blockflöte gebunden an eine Epoche, die mit dem Barock zu Ende ging. Vergleichbar etwa mit der Gambe oder der Viola d´amore, ebenfalls Instrumente, die sich nicht mehr wandeln und neuen Bedingungen anpassen konnten.

Eine ungeahnte Renaissance als künstlerisches Instrument erlebte die Blockflöte in den 60er und 70er Jahren des 20.Jahrhunderts. Maßgeblich wurde dieser Aufbruch von charismatischen Künstlerpersönlichkeiten geprägt, insbesondere von Frans Brüggen, dem Impulsgeber und Hauptrepräsentanten der „holländischen Schule“. Brüggen hatte den Mut, erstmals auf alten Instrumenten zu spielen und deren farbliche und dynamische Möglichkeiten neu zu entdecken und auszureizen. Plötzlich klang alles ganz anders, ausdrucksvoll und affektgeladen. Kritisiert wurde zuweilen Brüggens Intonation und „bauchige“ Tongebung, die mit der Eroberung des historisierenden Klanges einherging. Brüggen schaffte es auch, zeitgenössische Komponisten wie Luciano Berio zu bewegen, für die Blockflöte zu schreiben. Tausende neuer Kompositionen für Blockflöte enstanden. Wie selbstverständlich wurden dann auch von anderen Komponisten technische Anforderungen gestellt, die man zuvor nicht kannte. Die Spieltechnik entwickelte sich sprunghaft und auch das Bewußtsein, dass die Blockflöte ein hochvirtuoses Instrument ist mit vielen sehr spezifischen klanglichen Möglichkeiten, die nicht austauschbar sind. Etwa bruchlose Glissandi hervorzubringen, die auf einer Querflöte mit Klappen nicht möglich sind, bestimmte Klänge durch überblasen zu erzeugen oder direkteste Artikulationen, die sich durch die konstruktionsbedingt extrem schnelle Reaktionsfähigkeit des Instruments ergeben.
Zum wirkungsvollsten Blockflötenpädagogen des 20.Jahrhunderts avancierte Walter van Hauwe, Brüggens Schüler und Nachfolger am Sweelinck Konservatorium in Amsterdam, auch Dorothee Oberlinger und Michael Schneider studierten bei ihm. Über van Hauwe entstand ein internationales Blockflöten-Netzwerk, seine Schüler unterrichten in ganz Europa und in Übersee. Im Internet legte er das umfangreichste Verzeichnis zeitgenössischer Blockflöten-Kompositionen an (www.blokfluit.nl).
Die Vertreter der „deutschen Schule“, die durch Persönlichkeiten wie Hans-Martin Linde repräsentiert wurde, kamen von der modernen Querflöte und waren ausgebildete Orchesterflötisten. „In den 70er Jahren war die Blockflöte der Kristallisationspunkt für jede Beschäftigung mit alter Musik, das Einsteigerinstrument. Es gab kaum Barockgeiger und nur wenige Cembalisten. Fast jeder, der alte Musik machte, griff zur Blockflöte. Das hat sich massiv geändert. Die Blockflöte ist wieder in ihre Nische zurückgekehrt, aus der sie historisch kommt - und ist dort ungeheuer kreativ und wirkungsvoll“, resümiert Michael Schneider. Die nationalen Schulen hält er für „längst überwunden“, Dorothee Oberlinger spricht von „Mischformen“. Solistisch präsentieren sich heute individuelle Künstlerpersönlichkeiten, brillante Virtuosen wie Maurice Steger, Dan Laurin oder Giovanni Antonini. Einen Sonderfall stellt wohl Michala Petri dar, die sich schon früh in der Klassikszene behaupten konnte, als brillante Solistin in Konkurrenz zu Geigern und Pianisten. Berühmte Gruppen wie das Amsterdam Loeki Stardust Quartet, das belgische Flanders Recorder Quartet (FRQ) oder das deutsche Quartet New Generation (QNG) stehen für Ensemblespiel auf höchstem Niveau.
„Noch nie ist es dem Instrument so gut gegangen“, schreibt Walter van Hauwe aktuell in „Tibia“, dem deutschen Magazin für Holzbläser. Im 20.Jahrhundert eroberte sich die Blockflöte neue Ausdruckswelten, verbündete sich sogar mit der Elektronik. Dennoch besteht für Michael Schneider der eigentliche Reiz des Instruments in der Einfachheit und der Beschränkung:“Die Blockflöte zwingt den Spieler, über die ganz elementaren Grundlagen des Musikmachens nachzudenken, etwa eine Phrase zu gestalten. Man zieht sich mit der Blockflöte immer nackt aus. Man hat nichts, womit man Eindruck machen könnte, ohne zu gestalten. Das macht die Blockflöte auch als pädagogisches Instrument sinnvoll“. Dorothee Oberlinger führt diesen Gedanken fort:“Durch die Beschränkungen des Instruments, etwa in der Dynamik, muß der Spieler sehr viel Konzept in eine Interpretation hineinlegen, um das auszudrücken, was die Musik zeigt. Das fordert unglaublich heraus. Andererseits ist die Blockflöte ein sehr direktes, schnelles Instrument, und man hat sehr viele Möglichkeiten bei der Instrumentenwahl. Flötenmusik hat immer versucht, die Stimme zu imitieren. Dabei die eigene Seele hörbar zu machen, ist spannend und faszinierend“.